Angstbewältigungsstrategien- Ein Leitfaden, wie du deiner Angst begegnen kannst
Angst zu haben: Wer kennt das nicht?
Doch abgesehen von akuten Gefahrenmomenten, in denen wir froh sind, ohne Umwege oder Abwägungen reagieren zu können, ist uns diese Begleiterin oft so eine Last! Wir können uns ihr buchstäblich ausgeliefert fühlen.
Stell dir mal vor, du hast eine wunderbare Feier geplant – Musik läuft, das Essen duftet, die Kerzen sind schon an, und dann klopft ein unerwarteter Gast an die Tür: die Angst. Vielleicht versuchst du sie erst abzuwimmeln oder zu ignorieren, aber sie hat schon ihren Fuß in der Tür, vielleicht beschließt du aber sogar, sie freundlich hereinzulassen. Schließlich könnte sie interessante Geschichten zu erzählen haben, oder? Doch schnell merkst du, dass sie die Stimmung drückt und alles überwältigt. Was nun? Wie gehe ich mit der Angst um?
In diesem Artikel möchte ich dir einige Aspekte vorstellen, wie du mit deiner Angst umgehen kannst. Und was für Potential noch darin vorhanden ist. Angstbewältigungsstrategien und darüber hinaus.
Angst: Eine Facette unserer Menschlichkeit
Vorweg einige Gedanken über das Wesen der Angst: Wer bin ich denn ohne sie? So wesentlich, wie sie ist. Sie stellt uns einen chemischen Cocktail und Reflexe zur Verfügung, um Gefahren auszuweichen oder an Situationen mit Vorsicht heranzugehen. Tief verwurzelt ist sie in uns, ein Teil unseres Seins, unserer menschlichen Gestalt. Sie ist auch Teil unseres Mitgefühls mit anderen! Wie könnte ich mich denn in etwas hineindenken, wenn ich es nicht selbst kenne?
Stell dir mal vor, ohne Angst… völlig ohne Angst. Ist das tatsächlich so erstrebenswert? Oder kann ich an dieser Stelle auch ein leises Danke aussprechen, dass mir diese Hilfe an der Seite ist, dass ich dadurch vollständiger, menschlicher, verbundener bin?
Und wenn ich meine Angst genau anschaue, erkenne ich daran nicht viel von dem, was ich bin? Sie ist ein Teil meiner Gestalt, der Form, die diese Energie „ich“ angenommen hat. Vielleicht gelingt dir dieser sanfte Blick zu dir selbst zu Anfang noch nicht, und es ist besser, eine Begleitung dafür zu haben. Aber das ändert sich mit der Übung. Und die Neugier, die da entsteht, ist mehr als nur eine Spielerei: je entspannter wir unserer Angst begegnen können, desto leichter löst sie sich auch.
Von dieser Perspektive aus wagen wir uns zu der anderen Seite: „Angst ist ein schlechter Ratgeber“. Angst kann uns lähmen, unsere Urteilskraft beeinträchtigen, uns in uns selbst förmlich versinken lassen und isolieren. Das englische Wort FEAR kann als Akronym für „false evidence appearing real“ stehen: „falsche Beweise, die echt erscheinen“. Wenn du mit „falsch“ nicht mitgehen kannst, sagen wir zunächst „voreilig“. Denn oft sind es gar nicht die äußeren Umstände, sondern unsere Geschichten und Überzeugungen, die wir über die Geschehnisse haben, die die Angst erzeugen.
So in die Irre geleitet, kann ich da weise handeln? Angst führt uns weg von Präsenz im gegenwärtigen Moment und entführt uns in eine Wolke von mehr oder weniger unklaren Befürchtungen, die uns nicht handeln lassen. Oder die uns nicht klug handeln lassen. Wenn Angst in unserem Leben überhandnimmt, verblasst alles andere.
Ich möchte dir hier ein paar Ansätze geben, wie du mit deiner Angst leichter umgehen kannst:
Angstbewältigungsstrategien… Zwei einfache Techniken für die Angstbewältigung
Unser Verstand kann sich nur auf ein Ding zur Zeit konzentrieren. Diesen Umstand wollen wir nutzen:
Die Soforthilfe-Angstbewältigungsstrategie: Die 5-4-3-2-1-Methode
von Yvonne Dolan
Die 5-4-3-2-1-Methode ist ein bisschen wie eine Schnitzeljagd für deine Sinne! So funktioniert sie:
Mache sofort eine Bestandsaufnahme dessen, was gerade ist: Fühle die Füße auf dem Boden, oder die Sitzfläche unter dir, den Raum um dich herum. Was siehst du? Was hörst du? Was kannst du tasten oder spüren? Was riechst du? Was schmeckst du?
Oder genauer nach der Methode:
- 5 Dinge sehen: Schau dich um und zähle fünf Dinge auf, die du sehen kannst. Ganz egal was: groß oder klein, in deiner Nähe oder weiter entfernt, vertraut oder neu. Ein Stuhl, das Fenster, die Straße, ein Baum… sprich sie, wenn möglich, auch laut aus. Oder in Gedanken laut.
- 4 Dinge hören: Konzentriere dich auf die Geräusche um dich herum. Das kann das Brummen des Kühlschranks sein, das Quietschen eines Stuhls oder das Summen eines Insektes. Benenne auch hier, was du wahrnimmst.
- 3 Dinge fühlen: Achte auf drei Dinge, die du berühren kannst. Vielleicht der weiche Stoff deiner Kleidung oder der kühle Wind, der dir ins Gesicht bläst.
- 2 Dinge riechen: Schnupper doch mal! Was riechst du? Den frischen Kaffee aus der Küche? Ein frisch gebackenes Brot aus dem Laden dort? Wenn du nichts Riechbares in der Nähe hast, stelle dir einfach einen Geruch vor. Wald nach einem Regen mag ich zum Beispiel sehr, oder die salzige Meeresluft.
- 1 Sache schmecken: Nimm einen Bissen von etwas, das du in der Nähe hast, oder erinnere dich einfach an einen Geschmack. Oder taste nach dem momentanen Geschmack in deinem Mund.
- Das jeweils klar zu benennen ist wichtig dabei! Versuche es, du wirst den Unterschied merken.
So trainieren wir unser Bewusstsein, sich auf das „Hier und Jetzt“ auszurichten, wenn die Angst versucht, uns einen Strich durch die Rechnung zu machen. Wir werfen einen Anker.
Du hast die Kontrolle – diese Methode kann zum festen Bestandteil deiner „Angst-entschärfen“-Strategie werden.
Ich empfehle dir, sie einige Zeit regelmäßig zu üben, damit du im Notfall ganz selbstverständlich auf sie zurückgreifen kannst.
Wenn es in einer Akutsituation, wo deine Besucherin schon anklopft, noch nicht so funktioniert, taste nach dem, was dir möglich ist wahrzunehmen. Fokussiere dich darauf, egal was erst mal auftaucht. Mit der Zeit wächst dein Vertrauen in diese Methode, und du wirst immer besser und schneller darin.
Angstbewältigungstrategie Atemtechnik: Länger ausatmen als einatmen
Ein anderes sehr wirkungsvolles Instrument ist der Atem. Auf unseren Atem können wir uns verlassen! Er navigiert uns sicher durch Krisen, Emotionen, Herausforderungen. Wir müssen nur lernen ihn zu nutzen.
Diese Atemtechnik ist wie ein Zaubertrick für deine Nerven: Du nimmst einen tiefen Atemzug, zählst dabei bis 4, und hältst kurz inne. Und dann kommt der wesentliche Teil: Du atmest doppelt so lange aus wie vorher ein. Wenn du also vier Sekunden einatmest, atmest du acht Sekunden aus. Damit aktivierst du den parasympathischen Teil deines Nervensystems, der grob gesagt für die Entspannung und Erholung zuständig ist. Mach das, bis du merkst, dass es dir besser geht.
Oder wenn du auch das üben möchtest, um im Ernstfall leichter darauf zurückgreifen zu können, mache diese Atemmeditation 5 Minuten täglich. Mit der Zeit kannst du das verlängern. Aber selbst 5 Minuten sind von großem Nutzen.
Nebenbei bemerkt: das ist auch eine Praxis, die zur Blutdruckregulierung helfen kann. Das mögen einfache Übungen scheinen, doch sie sind sehr effektive Techniken zur Angstbewältigung. Probiere es aus.
Ich möchte das unterstreichen, denn unser Verstand kennt alle Tricks, um das Notwendige nicht zu tun! „Das ist zu einfach, das kann ja nicht helfen“, „probiere ich später mal, gerade habe ich keine Zeit“ oder „meine Angst ist so schlimm, gegen die lässt sich nichts tun“ sind gerne genommene Taktiken, um im altgewohnten Fahrwasser zu bleiben.
Mehr als Angstbewältigungsstrategien: Mit der Angst wachsen durch Integration und Transformation
Doch bei diesen Übungen wollen wir es nicht bewenden lassen. Angst ist ein Angebot, ein Potential, das sich uns offenbaren kann, das wollen wir nicht ausschlagen!
Oben hatte ich es schon erwähnt: Angst wird nicht durch die äußeren Umstände ausgelöst. Sie entsteht dadurch, wie wir diese Umstände interpretieren: durch unsere Geschichten und Überzeugungen. Und anhand deiner Angst wird offenbar, welche das sind. In diesem Sinne kann ich die Angst als Möglichkeit zum Wachstum begreifen. Denn oft wissen wir gar nicht, was unsere tiefsten und innersten Überzeugungen sind. Sie sind uns so selbstverständlich, dass wir sie gar nicht mehr wahrnehmen. Nur das, was ich wahrnehmen kann, kann ich verändern. Nur, wenn ich etwas bewusst gesehen habe, kann ich die Wahl treffen, ob ich es dabei belassen möchte oder mir etwas nicht (mehr) dienlich ist. Was mir bewusst geworden ist, kann ich ändern.
Daher: dein Fühlen ist dein Potential! Wende dich deiner Angst zu, lass dich mit ihr in Berührung kommen, mit deinem Verstand und mit deinem Körper. Du kannst das Schritt für Schritt machen, Babyschritt für Babyschritt, wenn nötig. So wirst du von der Angst nicht überwältigt.
Angstbewältigungstrategie: Der Körper als Tor
Angst wird, wie andere Emotionen auch, in unserem Körper abgespeichert. Entsprechend kannst du mit ihr über den Körper in Kontakt treten. Es gibt Forschungen darüber, aber soweit ich weiß, könnte ich keine wissenschaftliche Studie zu dieser Behauptung anführen. Das möchte ich an dieser Stelle deutlich sagen, manchen Menschen sind Studien ja wichtig.
Für dieses In-Kontakt-Treten bieten sich verschiedene Möglichkeiten an: manuelle Therapien, -für mich bewährt hat sich die Craniosacral Therapie-, und Traumatherapien wie Somatic Experience oder Embodied Processing (eine dem Somatic Experience ähnliche Traumaverarbeitung, die aus Australien kommt). Kannst du die Angst in deinem Körper spüren? Wo genau? Und wie fühlt sie sich an? Mit welchen Worten könntest du sie beschreiben?
Es sei betont, dass du im Fall von starken Ängsten solche Erkundigungen unbedingt zusammen mit einem Therapeuten durchführen solltest, der dich notfalls auffangen kann.
Es hat sich für mich bewährt, mich mit Angst auf körperlicher als auch Geistesebene (ich sage hier absichtlich nicht Verstand!) zu beschäftigen. Darum möchte ich dich schlussendlich noch mit einer weiteren Methode bekannt machen, die bei aller einfachen Strukturierung ein effektives Werkzeug ist, unser Denken aus- und umzuhebeln:
Wie „The Work“ Angst transformieren kann
Wenn Angst nicht durch die Umstände entsteht, sondern dadurch, wie ich meine Umstände erlebe, wie ich sie interpretiere, ist die Gretchenfrage: Wie verändere ich das? Wie verändere ich meine Denkweise? The Work of Byron Katie eine klare und kraftvolle Methode für eine grundlegende Wandlung unseres Denkens und Seins. Das Faszinierende für mich ist, dass das nicht durch eine willentliche Veränderung und Anstrengung geschieht, sondern durch diesen meditativen Prozess scheinbar wie von allein passiert.
Wie kann es sein, dass ich in 4 Fragen eintauche und dann die „Umkehrungen“ mache, und hinterher stellt sich für mich eine Situation völlig anders dar? Doch, das geht. Es scheint magisch. Aber fangen wir von vorne an. Der erste und wesentliche Schritt ist, den angsterzeugenden Gedanken zu finden und zu formulieren. Stell dir die Situation vor, die dir Angst macht. Und dann tauche in diese Szene ein und frage dich: was genau ist es, das mir Angst macht? Was ist meine Befürchtung? Dies Konkrete ist das wesentliche Element. Das formulieren wir in einem Satz.
Dann folgen die vier Fragen. Der entscheidende Punkt ist dabei, sie nicht aus dem Verstand zu beantworten, sondern in Stille zu gehen und die Antworten förmlich aufsteigen zu lassen. Nimm diesen Satz, den du gefunden hast: „Ist das wahr?“ Das ist die erste Frage. Die Antwort soll ein „Ja“ oder ein „Nein“ sein.
Die zweite: Kann ich mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist? Lass dich von den Antworten überraschen! „Ja“ oder „Nein“… Es geht um den Prozess der ehrlichen Antwort. Das „Ja“ oder „Nein“ sind gleich gut.
Die dritte Frage: Wie reagiere ich, was passiert, wenn ich den Gedanken glaube? Beschreibe, fühle, tauche ein.
Und die vierte Frage: Wer wäre ich ohne den Gedanken? Manchmal fällt es schwer, sich das überhaupt vorzustellen. Aber es lohnt sich, den Versuch zu machen! Stell dir vor, du hättest den Gedanken nicht. Es gibt ihn vielleicht auf der ganzen Welt gar nicht. Oder du hast ihn, aber glaubst ihn nicht. Weg. Aus. Ohne. Auch hier geht es um das Fühlen und Beschreiben.
Dann folgen noch die Umkehrungen: zu mir, ins Gegenteil etc. Da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Und wir finden Beispiele dafür. Dadurch erkennt unser Verstand, dass es mehr als diese eine Perspektive geben kann.
The Work ist für mich weit mehr als eine Methode, es ist eine neue Art sein Leben zu erfahren und überholte Denkprogramme selbständig, weise und klar neu zu schreiben.
Habe ich dich neugierig gemacht? Probiere diese verschiedenen Angstbewältigungsstrategien doch mal aus, und schreibe mir hier unten gerne in die Kommentare, wie du damit zurechtgekommen bist und was dir am meisten geholfen hat.
Wenn du für den Anfang noch die ein oder andere Hilfestellung gebrauchen könntest, kannst du dich natürlich auch bei mir melden. So kannst du mit der optimalen Effektivität einsteigen. Termine gibt es in meiner Praxis sowie online.
So ein wichtiges und leider oft noch tabubehaftetes Thema. Danke für deine anschaulichen Erklärungen und die vielen hilfreichen Impulse!
Viele Grüße
Sonja